6 Uhr 30 morgens. Draußen ist es kalt, grau und dunkel. Und ich bin immer noch erkältet. Wieso eigentlich? Ich habe doch schon seit vier Wochen Husten und Schnupfen. Kann das nicht langsam mal weggehen? Was für ein Mist. Doofer Tagesbeginn.
Plötzlich fängt der Minichef an zu singen. „Guten Morgen, Guten Morgen. Heute wird ein schöner Tag. Wir wollen spielen, wir wollen lernen und wir wollen uns erfreun.“
Das Baby wird wach, klettert auf mich drauf und strahlt mich an.
Ich kann von meinen Kindern lernen, das Leben zu verstehen.
9 Uhr. Nach dem Frühstück fahre ich meinen Computer hoch. Die kleine Emily krabbelt neben mir auf ihrer rosa Kuscheldecke und packt begeistert Spielzeugkisten aus.
Welche News gibt es denn in sozialen Netzwerken? Was ist denn hier wieder los? Ach Mensch. Die Nazis hassen die Flüchtlinge. Die radikalen Islamisten hassen den ganzen Westen. Überall Hass. Und irgendwie scheint sich die halbe Welt in ihrem Hass hochzuschaukeln.
Was macht Leon heute im Kindergarten? Zum Beispiel mit einem Kind aus Syrien spielen. Genauso wie auf unseren Reisen. Wo wir die Ausländer sind. Wo zig kleine Leute aus unterschiedlichen Ländern zusammen kommen und toben. Und sich super verstehen.
Weil Kindern die Herkunft und Religion anderer Menschen total schnuppe sind. Ausländer? Was ist das? Hey, wir sind einfach alle KINDER. Wir können von unseren Kindern lernen ohne Vorurteile zu LIEBEN.
10 Uhr 30. Emily macht ihren Vormittagsschlaf. Jetzt kann Mama ganz viel schaffen und ist sich dabei am Beeilen. Hier beeilen. Da beeilen. Alles muss schnell gehen. Blogeintrag schreiben, Wäsche waschen, Betten frisch beziehen und Spülmaschine ausräumen. Die Zeit läuft doch davon.
12 Uhr 35. „Leon, wir sind spät dran. Wir müssen uns beeilen. Heute bist du nicht zum Mittagessen angemeldet. Hör doch bitte auf, dich ständig zu verstecken und komm mit. Wir müssen uns beeilen.“
12 Uhr 45. „Och, Leon, den großen Käfer habe ich gar nicht gesehen. Wow. Den goldigen Labrador hinter dem Zaun auch nicht.
Kein Wunder! Wir Erwachsenen müssen uns ja immer so beeilen. Wir beeilen uns ständig und haben manchmal nicht mal Zeit zum Leben.
Ich kann von meinen Kindern den Zauber der Langsamkeit erlernen.
13 Uhr 30
Mein Essen ist total langweilig geworden. Die Kartoffeln hätte ich besser würzen können und der Brokkoli ist zu weich gekocht. Fischstäbchen gehen jedoch immer.
Den Kindern schmeckt es. Ihnen würden auch Nudeln mit Sauce aus dem Glas reichen. Das Stück Kohlrabi zwischendurch oder der Apfel auf der Hand bringt doch auch Vitamine.
Ich kann von meinen Kindern lernen, dass das Thema Essen nicht immer so kompliziert sein muss.
15 Uhr. Der Sandkastenfreund vom Minichef tritt ein. Wir Mamis sitzen auf dem Spielteppich und quatschen, während Emily begeistert Richtung Jungs krabbelt.
Dann erzählt mir seine Mama von Prophezeiungen. 2016 sollen die Islamisten den dritten Weltkrieg beginnen – gegen alle „Ungläubigen“. Ich erschrecke mich kurz und google das mal auf meinem iPhone. Krass. Das Internet ist voll davon. Wahrscheinlich bin ich einfach zu viel mit mir selbst beschäftigt gewesen, um davon was mitzukriegen.
Aber ich tröste die andere Mama damit, dass für den 21. Dezember 2012 auch ein Weltuntergang vorhergesagt wurde. Da war ich gerade mit Leon alleine in der Türkei. Bis auf ein starkes Unwetter am Morgen hab ich davon jedoch nix mitbekommen. Und wir leben alle noch.
Was unsere Kids währenddessen machen? Total vertieft spielen. Die Horrorszenarien ihrer Mütter jucken sie nicht. Sie unterhalten sich lieber darüber, wer von ihnen den tollen ICE haben darf und wer sich mit dem zweitklassigen Güterzug abgeben muss.
Von mir aus können die Kids an die Macht! Herbert Grönemeyer hat Recht. „Gebt den Kindern das Kommando – sie berechnen nicht was sie tun.“
Anstatt sich zu bekriegen singen Kinder von Christen und Moslems im Morgenkreis ihrer KiTa gemeinsam „Gottes Liebe ist soooo groß und soooo breit“ … süß!
Wir können von unseren Kindern lernen, noch mehr den Moment zu genießen und manchmal einfach weniger nachzudenken. Kommt eh meistens anders als befürchtet.
23 Uhr 15.Ich kuschele mich an meine Kinder und kann nicht sofort einschlafen. Ich ärgere mich darüber, dass ich ja eigentlich eher ins Bett gehen wollte. Um den grippalen Infekt auszukurieren.
Außerdem grübele ich darüber nach, dass ich am Samstag 40 Jahre alt werde. Neeee, echt jetzt? Ja. Leider. Mich hat es nie gestört älter zu werden. Aber die 4 davor, das ist ein komisches Gefühl.
Wieso bin ich denn so schnell 40 geworden? Wahrscheinlich, weil ich mich ständig so beeilen wollte.
Morgen werde ich den Tag aus der Sicht meiner Kinder leben. Weil ein Tag mit Kinderaugen aufmerksamer, intensiver, positiver, verspielter und lebendiger ist.
Und ihr?
Liebe Grüße von Elischeba
Photo Credits: privat. Studiofoto von Christian Grimmelt – hier geht es zu seiner Website
Sonstiges: auf meinem Travelblog habe ich hier eine Mutter interviewt, die seit 16 Jahren alleine mit ihrer Tochter durch die Welt reist
Gabi
27. Januar 2016 at 10:39 (9 Jahren ago)Hey, das ist wieder so ein Blogeintrag von dir, wie ich ihn besonders liebe. Nämlich so einer, der mir den Tag angenehmer macht, wo ich manchmal lache und dann wieder eine Gänsehaut kriege – danke dafür!
LG von Gabi 😉
Anni
27. Januar 2016 at 10:53 (9 Jahren ago)Elischeba, ich habe auf deinem Blog jetzt einen neuen Lieblingsartikel 🙂
Danke.
Sandra
27. Januar 2016 at 12:09 (9 Jahren ago)habe kürzlich noch ein Video von dir gesehen, da siehst da aber alles andere aus wie fast 40 😉
Reinhard
27. Januar 2016 at 16:38 (9 Jahren ago)Hallo Elischeba,
Dein Artikel gefällt mir ausgesprochen gut !! … Du hast aktuelle Themen (Flüchtlinge, Integration, gegenseitiges Verständnis, Terrorgefahr & hektisches Leben) aufgegriffen und sehr einfühlsam, lebendig & mit persönlichem Bezug beschrieben.
Lass Dich von den aktuell in den Social Media kursierenden „Weltuntergangs- und Weltkriegs-Szenarien“ nicht herunterziehen.
Ich bin in meiner Kindheit in den 1960er und 1970er Jahren mit dem „Vietnam-Krieg“, mit „Alt-Nazis“, Rassismus und dem ewigen atomaren Wettrüsten und Säbelgerassel aufgewachsen und hab ständig in den Nachrichten Bombenabwürfe, Kriegsreportagen und Horrormeldungen gesehen.
Glaub mir: wir waren schon öfter sehr nahe an einem dritten Weltkrieg dran !!
Ich bin „wohlbehütet“ in unmittelbarer Nähe eines berüchtigten „Glasscherben-Viertels“ mit „Gastarbeiterkindern“ (Italienern, Jugoslawen, Spaniern & Türken) „Flüchtlingskindern“ aus Vietnam, aus dem Ostblock und der DDR (Polen, Tschechen, Slowaken, Russen), Kindern von GIs (amerikanischen Soldaten) und jüdischen sowie palästinensischen Kindern aufgewachsen.
Da war es „überlebenswichtig“, mit allen Kindern einigermaßen klar zu kommen und kritische Situationen richtig einzuschätzen.
Am Faschingsdienstag 1973 hab ich mir bei einem „Kräftemessen mit meinem besten Sandkastenfreund“ an einer durchgedrückten Glasscheibe die Pulsader aufgeschnitten und hab nur mit sehr viel Glück und einem großen Schutzengel überlebt (meine Großmutter war zufälligerweise Zuhause obwohl sie eigentlich zum Friseur gehen wollte !)
1980 hab ich nur durch Zufall das Bombenattentat auf das Oktoberfest „verpasst“ … weil ich für eine Prüfung gelernt habe.
Ich war 1999 und 2000 in NYC auf dem Dach des World Trade Centers … und hab meine für Anfang September 2001 (9 eleven) geplante Reise nach NYC kurzfristig aus geschäftlichen Gründen abgesagt. Deshalb war ich nicht, wie ursprünglich geplant, am 11.9.2001 im World Trade Center !!
Ganz generell gilt: „Das Leben ist lebensgefährlich !!“ … und endet IRGENDWANN mit dem Tod !! …
Deshalb „Lebe Dein Leben und genieße jede Minute in vollen Zügen !!“ … und halte dabei Augen und Ohren offen … ohne Dir zuviele Sorgen zu machen !
Viele Grüße
Reinhard
Angi
28. Januar 2016 at 09:38 (9 Jahren ago)ja man darf sich nicht verrückt machen, wobei ich auch manchmal angst vor den islamisten habe 🙁
claudia
1. Februar 2016 at 20:34 (9 Jahren ago)sympathischer Artikel 😉